05.11.2014 D: Konzepte und Politik Welti: Diskussionsbeitrag D22-2014

Behinderung als Rechtsbegriff

(Zitiervorschlag: Welti: Behinderung als Rechtsbegriff; Forum D, Beitrag D22-2014 unter www.reha-recht.de; 05.11.2014)

Der Autor beschäftigt sich im vorliegenden Beitrag mit der Behinderung als Rechtsbegriff. Er stellt dazu den Ursprung und die Entwicklung des Begriffs dar. Insbesondere geht er dabei auf den Zweck des Behinderungsbegriffs sowie das Spannungsverhältnis zwischen Alltags- und Fachverständnis ein. Schließlich setzt er sich auch mit der bestehenden Kritik des aktuellen Behinderungsbegriffs aus § 2 Abs. 1 Sozialgesetzbuch IX und dem durch die UN-Behindertenrechtskonvention erforderlichen Änderungsbedarf auseinander.

Der Beitrag basiert auf einem vom Autor gehaltenen Vortrag beim „Kongress für Sozialmedizin und Begutachtung: Inklusion und Entschädigung – Ein Gegensatz?“ des Instituts für Versicherungsmedizin am 5. Juni 2014 in Frankfurt am Main. Den Veranstaltungsbericht finden Sie in Diskussionsbeitrag C17-2014.


Stichwörter:

UN-BRK, Inklusion, Entschädigung, Reformbedarf, Entwurf Teilhabegesetz, § 2 Abs. 1 SGB IX


Kommentare (2)

  1. Jörg Michael Kastl
    Jörg Michael Kastl 14.07.2017
    Mich überzeugen die Überlegungen von Hubert von Voss gar nicht. Der Hinweis auf den anglosächsischen Sprachgebrauch überzeugt nicht, weil ja da in der Regel von "Disability" die Rede ist. DAs ist aber etwas ganz anderes als Behinderung! "Disability" (eigentlich "Unfähigkeit", "nicht-Fähigkeit") ist eindeutig diskriminierender und rechnet Behinderung immer schon Personen zu. Das deutsche Wort Behinderung dagegen ist in dieser Hinsicht von allen Begriffen, die es in verschiedenen Sprachen, eindeutig am differenziertesten und am wenigsten stigmatisierend (vgl. wie gesagt englisch "disability" oder gar span.: "discapacidad" oder noch schlimmer franz. "invalidité"). Man kann im Deutschen sagen, "ich werde durch etwas bei etwas behindert" und dann das "Wodurch" und "Wobei" beliebig differenzieren. Diese komplexe Syntax entspricht aber genau dem fortschrittlichen und differenzierten Behinderungsverständnis etwa der ICF, also einem Modell von Behinderung, das gleichermaßen medizinische und soziale Aspekte aufgreift und aufeinander bezieht. Die Vorschläge, den Behinderungsbegriff durch Vokabeln wie "Einschränkung", "Beeinträchtigung" o.ä. zu e r s e t z e n , würden eindeutig zu einem Rückschritt führen. Dass der Behinderungsbegriff, der auch historisch mit der Absicht der Entstigmatisierung eingeführt wurde, in der Alltagssprache doch wieder wertende Aspekte mit sich führt, ist nicht ein Problem des Begriffes,sondern ein Problem der nach wie vor persistierenden negativen Haltungen in der Bevölkerung. Dagegen hilft nicht, ihn durch sprachlich weit unbefriedigendere Begriffe einzutauschen und damit das erreichte Reflexionx-Niveau preiszugeben. Sondern dagegen hilft nur, immer wieder - in der Lebenswelt, in der Politik, im Arbeitsleben usw. - sich für eine angemessene Verwendung dieses Begriffs aktiv einzusetzen, ein bisschen pathetisch gesagt: für diesen Begriff zu kämpfen. Ich finde "Behinderung" ist ein guter Begriff!!
  2. Hubertus von Voss, Univ. Prof. i. R. Dr. med. Dr. h. c.
    Hubertus von Voss, Univ. Prof. i. R. Dr. med. Dr. h. c. 27.06.2017
    Es lohnt sich, dem Begriff "Behinderung" hinsichtlich seines Entstehens und seiner Geschichte nachzugehen. Dies erscheint notwendig zu sein, da im anglo - amerikanischen Bereich dieser Begriff mit seiner Übersetzung "handikap" nicht mehr gebräuchlich ist. Die "American Psychiatric Association" hat mit der 5. Ausgabe des "Diagnostik and statistical Manual of Mental disorders" (DSM-5) Anstoß gegeben, sich kritisch mit dem Begriff "Behinderung" auseinanderzusetzen, da der Begriff "Behinderung" eine Differenzierung nach vorhandenen Fähigkeiten bei Betroffenen kaum zuläßt. Auch die Erkenntnis, dass in Deutschland NAMSE (=Nationales Aktionsbündnis für Menschen mit seltenen Erkrankungen) entstanden ist und bereits rund 20 Zentren zur Erforschung "seltener Krankheiten" gegründet wurden, muss zum Nachdenken Anlass geben, ob mit dem Begirff "Behinderung" - wie er im Sozialrecht fest verankert ist,- für so bezeichnete Personen noch Überlegungen erlaubt zu der Frage, welche Ressourcen in einem Menschen - als "behindert" bezeichnet - tatsächlich stecken. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass gerade zu den mentalen Entwicklungsstörungen die möglichen Varianten exakt neu beschrieben und damit definiert wurden. Der DSM - 5 spricht deshalb ausschließlich von "disorders" und damit Krankheiten bei den einzelnen Patienten und fordert mit dieser Begrifflichkeit die Suche nach der Kausalität solcher Krankheiten heraus. Bei Verwendung des Begriffes "Behinderung" wird nicht ausreichend beachtet, dass jeder Mensch mit einer angeblichen "Beheinderung" über ein Entwicklungsprofil verfügt und damit über Fähigkeiten oder auch verminderte Fähigkeiten, Schädigungen etc.. Die Autoren des DSM - 5 empfehlen, Krankheiten chronischen Charakters zu typisieren und von pauschalen Beschreibungen Abstand zu nehmen. Dass viele Patienten mit einer angeblichen "Behinderung" diese ihre Behinderung z. T. a) nicht wahrnehmen, oder wahrnehmen wollen und b) im Rahmen der Inclusion nicht unter der Bezeichnung "Behinderung" als Gruppe idenfiziert werden wollen, dies weiß man aus Umfragen bei dieser Personengruppe und auch von ihren Angehörigen. Die Zuordnung des Begriffes "Behinderung" erschwert die Integration. Partizipation und damit vor allem Inclusion. Damit wird auch die Rehabilitation oder Habilitation bei den jungen Patienten auf Dauer z. T. sogar blockiert. Auch ist der Begriff "Behinderung" als ein das soziale Miteinander betreffend vielfach Grund dafür, dass sehr schnell die Ursachensuche erst gar nicht mehr umfangreich in Gang gesetzt wird. Mehr denn je ist deshalb zu fordern, den Begriff "Behinderung" in vielen Fällen zu ersetzen durch z. B. körperliche Einschränkung, kognitive Beeinträchtigung etc... Dass solche Krankheiten Anspruch auf Sozialleistungen auslösen (Förderung, Rehabilitation etc.), dies ist weiter unumstritten. Der Stempel "Behinderung" aber verbaut vielen Menschen mit dieser Bezeichung den Weg zur Nomalität, Lebensqualität und löst bei ihnen das Gefühl aus, abhängig von dem guten Willen der so genannten Gesunden zu sein.

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