Beitrag als PDF zum Download
Beitrag drucken oder senden
Beitrag in Sozialen Netzen teilen
Dieser Beitrag gehört zu:
Der Autor Torsten Schaumberg skizziert die geänderten Regelungen zur Leistungskoordination im ersten Teil des SGB IX, die durch das Bundesteilhabegesetz 2018 in Kraft getreten sind, zeigt damit einhergehende Probleme auf und schlägt Lösungen vor. Der Beitrag umfasst Ausführungen zu den Themenkomplexen leistender Rehabilitationsträger, Zuständigkeitsklärung, Antragsweiterleitung und Feststellung des Rehabilitationsbedarfs. Weiterhin behandelt Schaumberg den Fall der Leistungsverantwortung mehrerer Rehabilitationsträger, Fragen der Genehmigungsfiktion und Kostenerstattung sowie die Teilhabeplanung. Der vorliegende Beitrag macht Ausführungen zu den Anforderungen, die § 14 SGB IX an das Zuständigkeitsklärungsverfahren stellt.
Es handelt sich um eine aktualisierte und aufgeteilte Version des Beitrags "Leistungskoordination im SGB IX - Zuständigkeitsklärung, Genehmigungsfiktion und Teilhabeplanung". Die Erstveröffentlichung erfolgte in zwei Teilen in der Zeitschrift „Die Sozialgerichtsbarkeit“ (SGb 2019, S. 142–149 und S. 206–213).
(Zitiervorschlag: Schaumberg: Zuständigkeitsklärung gemäß § 14 SGB IX – Allgemeine Vorgaben für das Verfahren; Beitrag A10-2020 unter www.reha-recht.de; 18.05.2020)
Im Beitrag „Das gegliederte System des Rehabilitationsrechts“[1] wurden das System des Rehabilitationsrechts sowie die Zuständigkeiten der einzelnen Rehabilitationsträger gemäß § 6 Abs. 1 SGB IX für die Leistungsgruppen nach § 5 SGB IX dargestellt. Der vorliegende Beitrag stellt dar, welche allgemeinen Anforderungen § 14 SGB IX an das Zuständigkeitsklärungsverfahren stellt.
Ziel des Zuständigkeitsklärungsverfahrens nach § 14 SGB IX ist es, die möglichst schnelle Leistung dadurch sicherzustellen, dass ein Teilhabeleistungsantrag grundsätzlich nur noch einmal zur Entscheidung von einem Rehabilitationsträger an einen anderen Rehabilitationsträger weitergeleitet werden darf.[2]
Der Rehabilitationsträger, dessen Zuständigkeit auf der Grundlage des § 14 SGB IX eingetreten ist, wird im SGB IX[3] als leistender Rehabilitationsträger bezeichnet. Die Norm gilt für alle Rehabilitationsträger i. S. § 6 SGB IX.[4] Diese haben, mit Ausnahme der Träger der öffentlichen Jugendhilfe und der Träger der Eingliederungshilfe, von der Möglichkeit des § 26 Abs. 2 Nr. 5 SGB IX Gebrauch gemacht und die „Gemeinsame Empfehlung zur Zuständigkeitsklärung, zur Erkennung, Ermittlung und Feststellung des Rehabilitationsbedarfs (einschließlich Grundsätzen der Instrumente zur Bedarfsermittlung), zur Teilhabeplanung und zu Anforderungen an die Durchführung von Leistungen zur Teilhabe gemäß § 26 Abs. 1 i. V. m. § 25 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 und 6 und gemäß § 26 Abs. 2 Nr. 2, 3, 5, 7 bis 9 SGB IX“ (GE Reha-Prozess) entwickelt.[5]
§ 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX verpflichtet den Rehabilitationsträger, bei dem ein Antrag[6] auf Teilhabeleistungen eingegangen ist,[7] zunächst zu prüfen, ob er nach seinem Leistungsgesetz für die beantragte Leistung zuständig ist.[8] Bei dieser Prüfung muss er zweischrittig vorgehen. Zunächst muss er prüfen, ob er nach den Regelungen der §§ 5, 6 SGB IX für die beantragte Leistung generell zuständig sein kann. Wird diese Frage bejaht, so ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob er – unter Berücksichtigung vorrangiger Leistungszuständigkeiten anderer Rehabilitationsträger – auch konkret nach seinem Leistungsgesetz für die beantragte Leistung zuständig ist.[9] An dieser konkreten Zuständigkeit würde es etwa fehlen, wenn ein Träger der öffentlichen Jugendhilfe einen Leistungsantrag von einem Kind mit körperlichen Behinderungen bekommt, da er nach § 35a SGB VIII nur für Kinder und Jugendliche mit seelischer Behinderung zuständig ist.
Aus der Tatsache, dass in § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX ausdrücklich „der“ Rehabilitationsträger i. S. der einzelnen Behörde, angesprochen wird, ist zu schließen, dass die Prüfung der Zuständigkeit nicht nur Fragen der sachlichen, sondern auch der örtlichen Zuständigkeit umfasst und damit auch Zuständigkeitsfragen innerhalb desselben Sozialleistungszweiges.[10] Umfasst ist damit etwa auch der Streit zwischen dem örtlichen und dem überörtlichen Träger der Eingliederungshilfe.[11]
Für die Prüfung der so verstandenen Zuständigkeit hat der erstangegangene Rehabilitationsträger gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX zwei Wochen nach Eingang des Antrags[12] bei ihm[13] Zeit. Die Berechnung dieser Frist, bei der es sich um eine Ausschlussfrist handelt,[14] richtet sich nach § 26 SGB X, der in seinem Absatz 1 grundsätzlich auf das Fristenregime der §§ 187–193 BGB verweist. Die Frist des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX beginnt am Tag nach dem Antragseingang (§ 26 Abs. 1 SGB X i. V. m. § 187 Abs. 1 BGB). Sie endet nach zwei Wochen mit dem Ablauf desjenigen Tages, der dem Tag des fristauslösenden Ereignisses entspricht (§ 26 Abs. 1 SGB X i. V. m. § 188 Abs. 2 HS. 2 BGB). Fällt das Fristende auf einen Sonnabend, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag, so endet die Frist grundsätzlich am nächsten Werktag (§ 26 Abs. 3 S. 1 SGB X).[15]
Innerhalb der Frist des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX hat der erst-angegangene Rehabilitationsträger nun zwei Handlungsalternativen.[16] Erstens kann er seine Zuständigkeit ausdrücklich bejahen. In diesem Fall ist er, auch wenn er seine Zuständigkeit fälschlich bejaht hat, im Außenverhältnis zum Leistungsberechtigten materiell-rechtlich für den Leistungsantrag zuständig. Sein weiteres Vorgehen richtet sich dann nach § 14 Abs. 2 SGB IX.[17] Hat der erstangegangene Rehabilitationsträger seine Zuständigkeit fälschlich bejaht, so kann er diese Entscheidung selbst dann nicht mehr ändern, wenn die Zwei-Wochen-Frist des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX noch nicht abgelaufen ist.[18] Der Rehabilitationsträger ist somit an seine Entscheidung gebunden. Zweitens hat der erstangegangene Rehabilitationsträger die Möglichkeit, seine eigene Zuständigkeit zu verneinen. In diesem Fall verpflichtet ihn § 14 Abs. 1 S. 2 SGB IX dazu, den Antrag – innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX – unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zuzuleiten und hierüber den Antragsteller zu unterrichten. Der Antrag wird dann rechtzeitig zugeleitet, wenn er innerhalb der Frist des § 14 Abs. 1 S. 2 SGB IX abgesandt wird. Nicht ausschlaggebend ist der Zeitpunkt des Eingangs beim Empfänger.[19] Da nach der Auffassung des BSG[20] der erstangegangene Rehabilitationsträger bei voller Ausnutzung der Zwei-Wochen-Frist des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX noch am ersten Tag nach Fristende den Antrag an den nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger weiterleiten kann, steht ihm eine Maximalfrist von 15 Tagen seit Antragseingang für die Prüfung der Zuständigkeit und die Weiterleitung des Antrages zur Verfügung.[21]
Die Weiterleitung des Antrags i. S. § 14 Abs. 1 S. 2 SGB IX hat nach der dort statuierten ausdrücklichen Anordnung unverzüglich zu erfolgen. Unter Rückgriff auf § 121 BGB muss der erstangegangene Rehabilitationsträger also ohne schuldhaftes Zögern handeln.[22] Eine Antragsweiterleitung unter vollständiger Ausschöpfung der Zwei-Wochen-Frist des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX kann daher bei früher Kenntnis des erstangegangenen Rehabilitationsträgers von der eigenen Unzuständigkeit durchaus nicht mehr unverzüglich sein. Grenze der Unverzüglichkeit dürfte der auf die Feststellung der Unzuständigkeit folgenden Arbeitstag sein.[23] In den Fällen, in denen nach § 19 SGB IX ein Teilhabeplan aufzustellen ist, muss diesem nach § 19 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB IX auch das Ergebnis der Zuständigkeitsklärung zu entnehmen sein. Um hier eine Nachprüfbarkeit dieses Ergebnisses sicherzustellen, dürfte es ebenfalls erforderlich sein, dass zumindest in den Verwaltungsakten das Datum vermerkt wird, an dem der erstangegangene Rehabilitationsträger seine Unzuständigkeit festgestellt hat.
Nicht jedes faktische Weiterleiten des Antrages an einen zweiten Rehabilitationsträger ist auch ein Weiterleiten i. S. § 14 Abs. 1 S. 2 SGB IX. Von einer derartigen Weiterleitung[24] ist nur dann auszugehen, wenn ein nach außen für den Empfänger, d. h. für den anderen Rehabilitationsträger als Adressaten der Weiterleitung, klar erkennbares Verhalten des erstangegangenen Rehabilitationsträgers vorliegt, dem sich entnehmen lässt, dass der erstangegangene Rehabilitationsträger seine Zuständigkeit geprüft und verneint hat und aus diesem Grund den Antrag demnach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zugeleitet hat.[25]
Über die Antragsweiterleitung ist der Antragsteller nach § 14 Abs. 1 S. 2 SGB IX zu unterrichten. Nach § 21 Abs. 3 GE Reha-Prozess hat dies schriftlich und mit einer Begründung zu erfolgen, aus der hervorgeht, dass eine inhaltliche Prüfung der Zuständigkeit stattgefunden hat.
Besonderheiten gelten nach § 14 Abs. 1 S. 3 SGB IX dann, wenn für die Feststellung der Zuständigkeit des erstangegangenen Rehabilitationsträgers die Ursache der Behinderung geklärt werden muss und dies innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX nicht möglich ist. Die Feststellung der Ursache einer Behinderung ist z. B. bei der Zuständigkeit der gesetzlichen Unfallversicherung erforderlich, da diese nach § 1 Ziff. 2 SGB VII Teilhabeleistungen nur erbringen, wenn die (drohende) Behinderung durch einen Versicherungsfall der gesetzlichen Unfallversicherung i. S. § 7 SGB VII, also durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit, verursacht wurden. Kann die Ursache der Behinderung nicht in der Frist des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX geklärt werden, so soll nach § 14 Abs. 1 S. 3 SGB IX der Antrag unverzüglich dem Rehabilitationsträger zugeleitet werden, der die Leistung ohne Rücksicht auf die Ursache der Behinderung erbringt. Zuständig in diesem Sinne ist nach § 23 GE-Reha-Prozess grundsätzlich:
Die Weiterleitung des Antrages durch den erstangegangenen Rehabilitationsträger begründet im Außenverhältnis zum Leistungsberechtigten die materiell-rechtliche Zuständigkeit des zweitangegangenen Rehabilitationsträgers.[27] Hierbei handelt es sich um eine ausschließliche Zuständigkeit.[28] Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der erstangegangene Rehabilitationsträger fälschlich die Zuständigkeit des zweitangegangenen Rehabilitationsträgers angenommen hat.[29] Da der Antrag grundsätzlich nur einmal weitergeleitet werden darf,[30] ist es dem zweitangegangenen Rehabilitationsträger auch grundsätzlich[31] versagt, seinerseits den Antrag an einen dritten Rehabilitationsträger weiterzuleiten. Die Zuständigkeit eines dritten Rehabilitationsträgers ist daher selbst dann ausgeschlossen, wenn die wiederholte Weiterleitung innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX erfolgt und der drittangegangene Reha-Träger die Leistung erbringt.[32] Eine Antragsweiterleitung an einen Sozialleistungsträger, der nicht gleichzeitig Rehabilitationsträger i. S. § 6 SGB IX ist,[33] ist rechtlich ebenfalls ausgeschlossen.[34]
Ließ § 14 SGB IX a. F. keine Ausnahmen von dem Grundsatz zu, dass der zweitangegangene Rehabilitationsträger den Antrag nicht an einen dritten Rehabilitationsträger weiterleiten darf,[35] gibt es nun mit der sog. Turboklärung[36] des § 14 Abs. 3 SGB IX eine solche Ausnahme. Nach dieser Vorschrift kann der Rehabilitationsträger, an den der Antrag weitergeleitet worden ist, dann, wenn er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung insgesamt nicht zuständig ist, den Antrag im Einvernehmen mit dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger an diesen weiterleiten.
Die Turboklärung setzt somit voraus, dass der zweitangegangene Rehabilitationsträger nach seinem Leistungsrecht insgesamt für die beantragte Leistung unzuständig ist. Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn der zweitangegangene Rehabilitationsträger nach den Regelungen der §§ 5, 6 SGB IX nicht für die beantragte(n) Leistungsgruppe(n) zuständig sein kann, sondern auch dann, wenn er nach §§ 5, 6 SGB zuständig sein kann, es aber nach seinem Leistungsgesetz nicht ist[37].[38]
Eine Weiterleitung des Antrags an einen dritten Rehabilitationsträger setzt Einvernehmen zwischen zweit- und drittangegangenem Rehabilitationsträger voraus. Durch diese Voraussetzung wird eine Weiterleitung gegen den Willen des dritten Rehabilitationsträgers ausgeschlossen.[39] Der Gesetzgeber greift hier auf ein Rechtsinstitut zurück, dass bereits aus anderen Bereichen des besonderen Verwaltungsrechts bekannt ist.[40] Bei der rechtlichen Einordnung des Einvernehmens i. S. § 14 Abs. 3 SGB IX kann daher auch auf die entsprechenden Grundsätze dieser Rechtsgebiete zurückgegriffen werden.
Einvernehmen ist i. S. § 14 Abs. 3 SGB IX nur hergestellt, wenn vor der Handlung völlige Willensübereinstimmung zwischen den beteiligten Rehabilitationsträgern besteht. Die widerspruchslose Hinnahme eines weitergeleiteten Antrages durch den dritten Rehabilitationsträger stellt daher kein Einvernehmen dar.[41] Mangels einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung ist eine Ersetzung oder Fiktion[42] des verweigerten Einvernehmens grundsätzlich nicht möglich. Ob die Rehabilitationsträger von der Turboklärung Gebrauch machen, liegt in ihrem Ermessen.[43] Damit liegt auch die Entscheidung des dritten Rehabilitationsträgers darüber, ob er den Leistungsantrag zur Weiterbearbeitung annimmt, in seinem Ermessen. Diese Entscheidung ist kein Verwaltungsakt, sondern ein internes Mitwirkungselement ohne Außenwirkung.[44] Das versagte Einvernehmen ist damit weder durch Widerspruch noch durch entsprechende Klage herstellbar, die angesichts der kurzen Entscheidungsfristen des § 14 Abs. 2 SGB IX allerdings auch nur bedingt hilfreich wären. Im Hinblick darauf, dass das vom dritten Rehabilitationsträger (rechtswidrig) versagte Einvernehmen keinen Einfluss auf die Sachentscheidung des zweitangegangenen Rehabilitationsträgers haben kann[45] und es zudem die Kostenerstattungsansprüche des § 16 SGB IX gibt, sind auch Amtshaftungsansprüche nur schwer vorstellbar.
Neben der Möglichkeit, bei der Zuständigkeitsprüfung nach § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX entweder die eigene Zuständigkeit zu bejahen oder sie zu verneinen und den Antrag an einen zweiten Rehabilitationsträger weiterzuleiten, gibt es für den erstangegangenen Rehabilitationsträger die Möglichkeit, dass er die Zwei-Wochen-Frist des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX ohne eine Entscheidung darüber verstreichen lässt, ob er für die beantragte Leistung zuständig ist oder nicht. In diesem Fall tritt seine alleinige Zuständigkeit für den Leistungsantrag im Außenverhältnis gegenüber dem Antragsteller allein durch Zeitablauf als Folge einer gesetzlichen Verpflichtung durch Unterlassen ein. Dies ergibt sich aus der Konzeption des SGB IX, nach der entweder der erst- oder aber der zweitangegangene Rehabilitationsträger für die umfassende Bedarfsfeststellung und Leistungserbringung materiell-rechtlich zuständig ist.[46] Grund hierfür sind die Anordnungen des § 14 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 1 SGB IX, nach denen ein Antrag entweder fristgerecht weiterzuleiten oder der Rehabilitationsbedarf unter Rückgriff auf die Instrumente von § 13 SGB IX unverzüglich und umfassend festzustellen ist und die erforderlichen Leistungen zu erbringen sind. Ebenso wie bei der Weiterleitung hat der erstangegangene Träger auch dann, wenn er die Weiterleitung versäumt hat, die Leistung selbst dann zu erbringen, wenn er für sie nach dem für ihn geltenden materiellen Leistungsrecht an sich nicht zuständig ist.[47]
Die alleinige Zuständigkeit des die Frist des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX versäumenden, erstangegangenen Rehabilitationsträgers ist im Außenverhältnis zum Antragsteller abschließend. Sie endet nicht mit einem bestandskräftigen Bescheid, sondern bleibt auch im Falle eines Überprüfungsantrages nach § 44 SGB X bestehen.[48] Die alleinige Zuständigkeit bewirkt, dass gleichzeitig alle anderen in Betracht kommenden Rehabilitationsträger die Entscheidungskompetenz über die Bewilligung der beantragten Leistungen verlieren und dass ggf. trotzdem von ihnen erlassene Bescheide rechtswidrig und aufzuheben sind.[49]
Beitrag von Prof. Dr. Torsten Schaumberg, Hochschule Nordhausen
[1] Schaumberg: Das gegliederte System des Rehabilitationsrechts, Beitrag A9-2020 unter www.reha-recht.de; 14.05.2020.
[2] Joussen in Dau/Düwell/Joussen, LPK-SGB IX, 5. Aufl. 2019, SGB IX, § 14 Rn. 2.
[3] Vgl. nur §§ 15, 19 SGB IX.
[4] Ulrich in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 14 Rn. 44. Gemäß § 187 Abs. 7 S. 1 SGB IX ist § 14 SGB IX entsprechend anzuwenden, wenn ein Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben beim Integrationsamt, das nach § 6 SGB IX kein Rehabilitationsträger ist, gestellt wird. Nach SG Nordhausen, Beschl. v. 03.05.2018 – S 19 AS 273/18 ER, ist § 14 Abs. 2 S. 1 SGB IX auch auf ein Jobcenter anwendbar.
[5] Gemeinsame Empfehlung Reha-Prozess, im Internet abrufbar unter: https://www.bar-frankfurt.de, zuletzt abgerufen am 14.02.2020; vormals: „Gemeinsame Empfehlung über die Ausgestaltung des in § 14 SGB IX bestimmten Verfahrens“.
[6] Vgl. zum Antrag i. S. § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX auch Beitrag A11-2020.
[7] Dieser Rehabilitationsträger wird auch als erstangegangener Rehabilitationsträger bezeichnet, vgl. z. B. Jabben in Neumann/Pahlen/Winkler/Jabben, SGB IX, 13. Aufl. 2018, § 14 Rn. 9a; BSG, Urt. v. 21.08.2008 – B 13 R 33/07 R.
[8] Bei den Krankenkassen umfasst die Prüfung auch die Leistungspflicht nach § 40 Abs. 4 SGB V.
[9] Joussen in Dau/Düwell/Joussen, LPK-SGB IX, 5. Aufl. 2019, SGB IX, § 14 Rn. 5.
[10] Ulrich in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 14 Rn. 45.
[11] Joussen in Dau/Düwell/Joussen, LPK-SGB IX, 5. Aufl. 2019, SGB IX, § 14 Rn. 5; Ulrich in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 14 Rn. 45; vgl. auch VG Oldenburg, Beschl. v. 14.03.2002 – 3 B 666/02, RdLH 2002, 65, LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 7. 11. 2006 – L 11 KR 2438/06, RdLH 2007, Nr. 3, 22 f.
[12] Ist die Leistung von Amts wegen zu erbringen (z. B. nach § 19 SGB IV), so sind nach § 14 Abs. 4 SGB IX die Absätze 1 bis 3 entsprechend mit der Modifikation anzuwenden, dass an die Stelle des Tages der Antragstellung der Tag der Kenntnis des voraussichtlichen Rehabilitationsbedarfs tritt.
[13] Der Antragseingang bei einer Stelle, die kein Rehabilitationsträger i. S. § 6 SGB IX ist, lässt die Zwei-Wochen-Frist des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX nicht beginnen; vgl. z. B. Jabben in Neumann/Pahlen/Winkler/Jabben, SGB IX, 13. Aufl. 2018, § 14 Rn. 7.
[14] Jabben in Neumann/Pahlen/Winkler/Jabben, SGB IX, 13. Aufl. 2018, § 14 Rn. 3; Joussen in Dau/Düwell/Joussen, LPK-SGB IX, 5. Aufl. 2019, SGB IX, § 14 Rn. 9.
[15] Vgl. hierzu insgesamt Ulrich in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 14 Rn. 68 ff.; Knittel, SGB IX, 11. Aufl. 2017, § 14 Rn. 61.
[16] Zum dritten Fall – der Fristversäumnis s. unten II. 4.
[17] Vgl. hierzu Schaumberg: Zuständigkeitsklärung gemäß § 14 SGB IX – Bedarfsermittlung, Folgeanträge und Nichteinhaltung von Zuständigkeitsregelungen, Beitrag A11-2020 unter www.reha-recht.de.
[18] LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16. 5. 2008 – L 23 B 26/08 SO ER; Jabben in Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, BeckOK-Sozialrecht (Stand: 01.12.2019), § 14 SGB IX, Rn. 5.
[19] BSG, Urt. v. 03.11.2011 – B 3 KR 8/11 R, BSGE 109, 199 ff.; vgl. auch Bayerisches LSG, Beschl. v. 21.01.2015 – L 8 SO 316/14 B ER; Ulrich in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 14 Rn. 72.
[20] BSG, Urt. v. 03.11.2011 – B 3 KR 8/11 R, BSGE 109, 199 ff.
[21] Knittel, SGB IX, 11. Aufl. 2017, § 14 Rn. 86.
[22] Knittel, SGB IX, 11. Aufl. 2017, § 14 Rn. 85.
[23] Ulrich in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 14 Rn. 79 unter Verweis auf BSG, Urt. v. 20.10.2005 – B 7a AL 50/05 R, BSGE 95, 191 ff.; Knittel, SGB IX, 11. Aufl. 2017, § 14 Rn. 85; LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 26.07.2010 – L 20 S 38/09.
[24] Die keinen Verwaltungsakt, sondern schlichtes Verwaltungshandeln darstellt; vgl. z. B. Hessisches LSG, Beschl. v. 05.06.2013 – L 8 KR 127/13 B; Knittel, SGB IX, 11. Aufl. 2017, § 14 Rn. 77 (m. w. N.).
[25] So z. B. LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 09.10.2015 – L 2 R 6/14, NZS 2016, 71 ff.; Jabben in Neumann/Pahlen/Winkler/Jabben, SGB IX, 13. Aufl. 2018, § 14 Rn. 10.
[26] Die nach neuem Recht als „Leistungen zur sozialen Teilhabe“ bezeichnet werden.
[27] So z. B. BSG, Urt. v. 26.06.2007 – B 1 KR 34/06 R, NZS 2008, 436 ff.
[28] BSG, Urt. v. 20.10.2009 – B 5 R 5/07 R, NJE 2010, 2236 ff.; a. A. SG Speyer, Urt. v. 24.10. 2016 – S 16 R 1005/14, das darauf abstellt, dass der Verlust der materiell-rechtlichen Zuständigkeit in § 14 SGB IX nicht vorgesehen ist.
[29] Vgl. nur SG Reutlingen, Beschl. v. 08.11.2018 – S 1 KR 2376/18 ER; LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 12.12.2017 – L 7 SO 3798/17 ER-B.
[30] So schon zu § 14 SGB IX a. F. Bundestags-Drucksache 15/1783, S. 3; vgl. auch BSG, Urt. v. 25.06.2008 – B 11b AS 19/07 R, BSGE 101, 79 ff.
[31] Eine Ausnahme von diesem Grundsatz stellt die sog. Turboklärung des § 14 Abs. 3 SGB IX dar; s. hierzu unten II. 3.
[32] Ulrich in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 14 Rn. 80 unter Verweis auf BSG, Urt. v. 8. 3. 2016 – B 1 KR 27/15 R, SGb 2017, 281 ff. Siehe zudem: Peters-Lange: Zum Erstattungsanspruch des drittangegangenen Rehabilitationsträgers nach Leistung als unzuständiger Träger gegen den „eigentlich“ zuständigen Träger – Anmerkung zu BSG, Urteil v. 08.03.2016 – B 1 KR 27/15 R; Beitrag D58-2016 unter www.reha-recht.de; 06.12.2016.
[33] Also z. B. die Weiterleitung an eine Pflegekasse.
[34] Jabben in Neumann/Pahlen/Winkler/Jabben, SGB IX, 13. Aufl. 2018, § 14 Rn. 12.
[35] § 14 Abs. 2 S. 5 SGB IX a. F. sah für diese Situation nur eine Abstimmung der Rehabilitationsträger, nicht aber eine Weiterleitung des Antrags vor.
[36] Der Begriff geht auf die Gesetzesbegründung zurück und findet seine Rechtfertigung darin, dass durch die Weiterleitung die Entscheidungsfristen des § 14 Abs. 2 SGB IX nicht verlängert werden, vgl. Bundestags-Drucksache 18/9522, S. 234 (zu. § 14).
[37] Weil z. B. im Leistungsbereich der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung in der Person des Antragstellers die persönlichen oder versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der §§ 10, 11 SGB VI nicht vorliegen.
[38] Bundestags-Drucksache 18/9522, S. 234 (zu § 14).
[39] I. d. S. auch Ulrich in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 14 Rn. 81.
[40] Z. B. in § 36 BauGB.
[41] Vgl. grundlegend zum Einvernehmen BVerwG, Urt. v. 30.11.1978 – 2 C 6.75, BVerwGE 57, 98 ff.; BVerwG, Urt. v. 04.11.1960 – VI C 163/58, VerwRspr 1961, 533 ff.
[42] Wie z. B. in § 36 Abs. 2 S. 2 BauGB.
[43] Bundestags-Drucksache 18/9522, S. 234 (zu § 14).
[44] So für das öffentliche Bauplanungsrecht Stüer in Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, 5. Aufl. 2015, Rn. 220.
[45] Der zweitangegangene Rehabilitationsträger hat, auch wenn er nach seinem Leistungsgesetz für die Leistung nicht zuständig ist, seine Sachentscheidung auf alle in Betracht kommenden Leistungsgesetze von Rehabilitationsträgern zu stützen und darf die Leistung nicht unter Hinweis auf eine fehlende Zuständigkeit ablehnen.
[46] Ulrich in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 14 Rn. 95; Knittel, SGB IX, 11. Aufl. 2017, § 14 Rn. 96.
[47] Ulrich in Deinert/Welti, StichwortKommentar Behindertenrecht, 2. Aufl. 2018, Stichwort Zuständigkeit Rn. 27.
[48] Vgl. nur Ulrich in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 14 Rn. 96; LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 01.03.2018 – L 2 R 1037/16; BSG, Urt. v. 30.11.2011 – B 11 AL 7/10 R, BSGE 109, 293 ff.; BSG, Urt. v. 20.11.2008 –B 3 KN 4/07 KR R, BSGE 102, 90 ff.; BSG, Urt. v. 21.08.2008 – B 13 R 33/07 R, BSGE 101, 207 ff.; krit. Welti „Erstangegangener Rehabilitationsträger auch zuständig für Fortsetzung des Verfahrens nach § 44 SGB X – Kann § 14 SGB IX zum Anspruchsverlust führen?“ in Diskussionsforum A, Beitrag 6/2009 auf www.reha-recht.de, zuletzt abgerufen am 11.03.2020.
[49] LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 01.03.2018 – L 2 R 1037/16; BSG, Urt. v. 24.01.2013 – B 3 KR 5/12 R. Vgl. dazu Waldenburger: Einschränkungen in der Hörmittelversorgung – Kein Anspruch gegen die Krankenversicherung bei ausschließlich beruflichen Gebrauchsvorteilen; Beitrag A26-2013 auf www.reha-recht.de; 27.11.2013.
Zuständigkeitsklärung, Rehabilitationsträger, Zweitangegangener Rehabilitationsträger, Gegliedertes Sozialleistungssystem, Frist, Zuständigkeit, Zuständigkeit nach § 14 SGB IX, Kostenerstattung
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!