23.12.2022 Sonstige Veröffentlichungen

Forschung: Inklusive Bildung neu justieren

An der Humboldt-Universität zu Berlin haben Promovierende zwischen 2015 und 2022 an Fragen der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) im deutschen Bildungssystem geforscht. Ein „Working Paper“ stellt die zentralen Forschungsbefunde des Promotionskollegs „Inklusion – Bildung – Schule“ dar und mündet in konkreten Empfehlungen für Bildungspolitik, Bildungsforschung, Schulentwicklung und Schulpraxis.

Ausgangspunkt war die Feststellung, dass die Umsetzung der UN-BRK grundlegende Veränderungen im Schulsystem verlangt, die weit über die bloße Teilnahme von Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen an der Regelschule hinausgehen: Aufgaben, Strukturen, Praktiken und Ziele von Bildung seien im Lichte einer menschenrechtlichen Grundlegung von Bildungsgerechtigkeit neu zu justieren. Das Bildungssystem wurde auf drei Ebenenen analysiert: die Ebene der bildungspolitischen Steuerung, die der Einzelschule sowie unterrichtliche Praktiken und professionelle Entwicklungen. Eine besondere forschungsethische Perspektive stellte dabei der Ansatz der partizipatorischen Forschung dar, also die Einbeziehung von Expertinnen und Experten in ‚eigener Sache‘ als Co-Forschende.

Die Forschungsthesen:

  • Es fehlt ein einheitliches Begriffsverständnis von Inklusion auf allen Ebenen des Bildungssystems;
  • es gibt dementsprechend keine einheitlichen und verbindlichen Qualitätsmerkmale und geeignete Indikatoren zur Steuerung und Evaluation inklusiver Bildungsprozesse, sowohl was die Ressourcen als auch die didaktische Ebene betrifft;
  • die Umsetzung von inklusiven Bildungskonzepten erfolgt auf allen Ebenen in heterogener Weise und führt zu Konflikten.

Handlungsempfehlungen für die Praxis

Aus den bisherigen Untersuchungen schließen die Forschenden das Erfordernis eines verbindlichen Qualitätsentwicklungsinstruments für inklusive Bildung in Schulen. Es solle sich an nationalen Standards orientieren und u. a. die erreichten Kompetenzniveaus wie auch Bildungsabschlüsse bemessen.

Herausgearbeitet wurde, dass Inklusion lediglich als eine Option zur Verfügung stehe und sich unterschiedliche Akteure auch gegen eine inklusive Gesellschaft positionieren können. Dies zeige sich exemplarisch am Diskurs um den Erhalt der Förderschulen, aber auch an der nicht flächendeckenden Entwicklung von Inklusion in allen Bundesländern. Hier bedürfe es einer stärkeren Betonung der Relevanz und rechtlichen Verbindlichkeit der UN-BRK in der (Bildungs-)Politik und der Implementierung ihrer Inhalte in konkretes politisches Handeln.

Die Legitimität, Wirkmächtigkeit und Funktion der Zuweisung eines „sonderpädagogischen Förderbedarfs“ sei weiterhin kritisch zu untersuchen sowie empirisch zu prüfen, unter welchen Bedingungen der Einsatz von Förderschullehrkräften in inklusiven Schulen wirksam ist.  Nach wie vor erschwerten Normalitätserwartungen die Teilhabeprozesse, u. a. am Übergang Schule – Beruf. Hier sei der Fokus sowohl auf institutionalisierte Barrieren zu lenken wie auch auf die konkreten individuellen Unterstützungsbedarfe.

Die bisherigen Untersuchungen verwiesen, so das Papier, auf unterschiedliche Differenzwahrnehmungen von Schülerinnen und Schülern und Lehrkräften, die zu Ein- und Ausschließungen führten. Diese seien nicht nur zu eruieren, sondern auch im Rahmen einer Demokratieerziehung in Schulen zu thematisieren.

Das Promotionskolleg „Inklusion – Bildung – Schule“ wurde durch die Hans-Böckler-Stiftung und die Exzellenzinitiative der Humboldt-Universität zu Berlin gefördert.

Zum Working Paper Studienförderung: Vera Moser: Inklusion im Bildungssystem: Definitionen, Steuerung, Prozesse und Wirkungen – Ergebnisse des Promotionskollegs 040 ‚Inklusion – Bildung – Schule‘ (Dezember 2022)

(Quelle: Hans-Böckler-Stiftung)


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