31.08.2023 Politik

Zweite Staatenprüfung: Noch viel zu tun für die Umsetzung der UN-BRK in Deutschland

Am 29. und 30. August 2023 fand in Genf vor dem UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen die Anhörung zum Stand der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK, CRPD) in Deutschland statt. Der Live-Stream ist noch abrufbar auf der UN-Plattform.

Die deutsche Delegation stellte sich unter der Leitung von Staatssekretär Dr. Rolf Schmachtenberg den kritischen Fragen des UN-Fachausschusses und der beim Deutschen Institut für Menschenrechte (DIMR) angesiedelten Monitoring-Stelle UN-BRK. Dabei waren Vertreterinnen und Vertreter der Bundesministerien für Arbeit und Soziales, der Justiz und für Gesundheit, der Kultusministerkonferenz der Länder sowie des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen und der Beauftragten der Hessischen Landesregierung für Menschen mit Behinderungen. Die zweitägige Anhörung wurde zudem aufmerksam verfolgt von der Zivilgesellschaft und Selbstvertretungsverbänden, internationalen Organisationen, Mitgliedern des Deutschen Bundestages und des Europäischen Parlaments.

Der „Konstruktive Dialog“ konzentrierte sich vor allem auf die Themenbereiche Bewusstseinsbildung, Gleichstellung von Menschen mit Behinderung als Querschnittsaufgabe (Disability Mainstreaming), Barrierefreiheit im privaten Sektor, rechtliche Betreuung, Zwangsmaßnahmen und Freiheitsentziehung, Gewaltschutz, den Umgang mit geflüchteten Menschen mit Behinderungen, Deinstitutionalisierung, inklusive Bildung und die gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsleben.

Die Sachverständigen des Ausschusses würdigten die Bemühungen Deutschlands, die Sozialleistungen und den sozialen Schutz zu verbessern, warfen jedoch Fragen zur Reform des Vormundschaftsrechts und zur Anwendung von Zwangsmaßnahmen in psychiatrischen Einrichtungen auf. Eine Reihe von Defiziten in der Umsetzung der UN-BRK wurde aufgezeigt. So sei ein erhebliches Ausmaß an Sonderstrukturen in den Bereichen Schulbildung, Wohnen, Arbeitsleben zu erkennen und „Segregation“ (Abgrenzung/Absonderung) tief verankert. Offensichtlich gebe es keine systematische Prüfung und Bewertung von Rechtsvorschriften zur Umsetzung der UN-BRK auf Bundes- und Länderebene, um frühzeitig Anpassungsbedarfe bei Regelungen zu erkennen. Mit Blick auf das Disability Mainstreaming wurde kritisch beobachtet, dass bisher vor allem das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Erscheinung trete, andere Bundesministerien dagegen weniger aktiv seien. Einige Einzelbeobachtungen: Bei den gesetzlich eingeführten Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen fehle es an einer Prüfung von unabhängiger Stelle. Zum selbstbestimmten Wohnen merkte die Monitoring-Stelle an, dass es für Menschen mit Behinderungen aufgrund der Knappheit an barrierefreiem Wohnraum noch immer keine freie Wahlmöglichkeit gebe. Insbesondere Menschen mit Lernbehinderungen und hohem Unterstützungsbedarf leben in der Regel weiterhin in Einrichtungen. Hinsichtlich der neuen Bundesinitiative Barrierefreiheit wurde angemerkt, dass hier noch Finanzierungsfragen zwischen Bund und Ländern offen seien. Für den privaten Sektor müssen Pflichten zur Barrierefreiheit verankert werden.

Hintergrund zum Staatenprüfverfahren

Auf Grundlage der vom UN-Fachausschuss im Herbst 2018 vorgelegten Frageliste und unter Berücksichtigung der Abschließenden Bemerkungen der ersten Staatenprüfung hatte die Bundesregierung ihren kombinierten zweiten und dritten Staatenbericht über den Stand der Verwirklichung der Rechte von Menschen mit Behinderungen Ende September 2019 vorgelegt. Auf eigene Initiative hat die Bundesregierung zusätzlich am 9. Juni 2023 einen Bericht über die wichtigsten inklusionspolitischen Maßnahmen für Menschen mit Behinderungen des Zeitraums September 2019 bis März 2023 beim UN-Fachausschuss in Genf eingereicht. Neben dem Parallelbericht des DIMR haben auch zivilgesellschaftliche Verbände und Selbstvertretungsorganisationen von Menschen mit Behinderungen bis 1. August 2023 einen Parallelbericht zur Umsetzung der UN-BRK in Deutschland verfasst. Hierbei wurden u. a. Probleme bei der Inklusion im Bildungssystem, die unzureichende Partizipation von Selbstvertretungsorganisationen, das Betreuungsrecht sowie die Exklusion im Arbeitsmarkt angesprochen. Die Sitzung zur Prüfung des Staatenberichts umfasst einen „konstruktiven Dialog“ zwischen dem UN-Fachausschuss und der Regierungsdelegation.

Nachtrag: Die „Abschließenden Bemerkungen“ („Concluding Observations“) des UN-Ausschusses wurden mit Datum vom 8. September 2023 veröffentlicht: Concluding Observations

Weitere Informationen

Ein zusammenfassender Bericht der UN zum konstruktiven Dialog (Englisch): Meeting Summary

Links zu den aufgezeichneten Live-Streams auf dem UN Web TV:

Konstruktiver Dialog am 29. August 2023

Konstruktiver Dialog am 30. August 2023

Die Fragenliste, zweiter und dritter Staatenbericht sowie der Maßnahmenbericht sind auf Deutsch und Englisch abrufbar unter: Gemeinsam-einfach-machen: Zweite Staatenprüfung.

Weitere Informationen zu den Staatenprüfungen sind auf der Seite der CRPD- Session dokumentiert: CRPD 29th Session

Erläuterungen zum Staatenberichtsverfahren des DIMR

(Quellen: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Deutsches Institut für Menschenrechte)


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