Der Autor Thorsten Schaumberg skizziert in verschiedenen Beiträgen die geänderten Regelungen zur Leistungskoordination im ersten Teil des SGB IX, die durch das Bundesteilhabegesetz 2018 in Kraft getreten sind, zeigt damit einhergehende Probleme auf und schlägt Lösungen vor. Die Beiträge umfassen Ausführungen zu den Themenkomplexen leistender Rehabilitationsträger, Zuständigkeitsklärung, Antragsweiterleitung und Feststellung des Rehabilitationsbedarfs. Weiterhin behandelt Schaumberg den Fall der Leistungsverantwortung mehrerer Rehabilitationsträger, Fragen der Genehmigungsfiktion und Kostenerstattung sowie die Teilhabeplanung. In diesem Beitrag wird der Teilhabeplan als Instrument zur Koordination von Rehabilitationsleistungen bei Trägermehrheit beleuchtet. Es werden die Ziele des Teilhabeplans sowie die Anforderungen, die §§ 19 und 21 SGB IX an dieses Instrument stellen, dargestellt.
(Zitiervorschlag: Schaumberg: Der Teilhabeplan nach § 19 SGB IX als Instrument zur Koordination von Rehabilitationsleistungen; Beitrag A14-2020 unter www.reha-recht.de; 10.06.2020)
I. Einleitung
Der vorhergehende Beitrag hatte die Kostenerstattung nach Genehmigungsfiktion gemäß § 18 Abs. 4 SGB IX zum Gegenstand.[1] Thematisiert wurden die Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer durch Fristablauf genehmigten Leistung.
Im vorliegenden Beitrag wird der Teilhabeplan als Instrument zur Koordination von Rehabilitationsleistungen bei Trägermehrheit thematisiert. Nachfolgend werden die Ziele des Teilhabeplans sowie die Anforderungen, die §§ 19 und 21 SGB IX an dieses Instrument stellen, dargestellt.
II. Der Teilhabeplan nach § 19 SGB IX
In bestimmten Fällen verpflichtet § 19 SGB IX den leistenden Rehabilitationsträger dazu, ein Teilhabeplanverfahren durchzuführen und einen Teilhabeplan aufzustellen. Nachfolgend soll nur ein Überblick über den Teilhabeplan gegeben werden.
1. Funktion eines Teilhabeplans i. S. § 19 SGB IX
Nach § 19 Abs. 1 SGB IX dient der Teilhabeplan dem nahtlosen Ineinandergreifen von Leistungen verschiedener Leistungsgruppen bzw. von Leistungen verschiedener Rehabilitationsträger. Im Teilhabeplan werden die voraussichtlich erforderlichen Leistungen nach dem individuellen Bedarf hinsichtlich Ziel, Art und Umfang funktionsbezogen festgestellt und schriftlich so zusammengestellt, dass die gewünschte Nahtlosigkeit erreicht wird.[2] Damit kommt dem Teilhabeplan eher eine koordinierende als eine rein bedarfssteuernde Funktion zu.
2. Anlässe für die Aufstellung eines Teilhabeplans i. S. § 19 SGB IX
§ 19 Abs. 1 SGB IX nennt zwei Fälle, in denen vom leistenden Rehabilitationsträger ein Teilhabeplan aufzustellen ist, § 19 Abs. 2 S. 3 SGB IX einen weiteren.
Ein Teilhabeplan ist nach § 19 Abs. 1 1. HS 1. Alt. SGB IX immer aufzustellen, wenn Leistungen verschiedener Leistungsgruppen (§ 5 SGB IX) erforderlich sind, also Medizinische Rehabilitation, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, Leistungen zur Teilhabe an Bildung, Leistungen zur Sozialen Teilhabe. Sobald also der leistende Rehabilitationsträger die Erbringung von Teilhabeleistungen für erforderlich hält (nicht schon dann, wenn sie lediglich beantragt sind), die aus unterschiedlichen Leistungsgruppen stammen, ist er verpflichtet, einen Teilhabeplan aufzustellen. Hierbei spielt es keine Rolle, ob weitere Rehabilitationsträger am Verfahren beteiligt sind oder nicht. Auch den allein das Verfahren durchführenden leistenden Rehabilitationsträger trifft vor dem Hintergrund der Nahtlosigkeit der Leistungserbringung diese Verpflichtung.[3]
Beispiel: So ist etwa auch eine gesetzliche Krankenversicherung als leistender Rehabilitationsträger verpflichtet, einen Teilhabeplan i. S. § 19 SGB IX aufzustellen, wenn sie Leistungen zur Frühförderung (§ 46 SGB IX – Leistungen zur medizinischen Rehabilitation) und heilpädagogische Leistungen (§ 79 SGB IX – Leistungen zur sozialen Teilhabe) als Komplexleistungen zu erbringen hat. Ein ggf. vorhandener Förder- und Behandlungsplan kann den Teilhabeplan nicht ersetzen, sondern – sofern er auch den Inhalt des § 19 Abs. 2 SGB IX enthält – lediglich ergänzen.
Allerdings ist in diesem Zusammenhang auf § 19 Abs. 6 SGB IX hinzuweisen, der klarstellt, dass unterhaltssichernde Leistungen (z. B. Übergangsgeld, Krankengeld) nicht die Leistungsgruppenmehrheit i. S. v. Absatz 1 auslösen, wenn sie aufgrund der jeweiligen Leistungsgesetze lediglich akzessorisch zu anderen Leistungen zur Teilhabe gewährt werden, wie z. B. die unterhaltssichernden Leistungen nach § 65 Abs. 1 SGB IX.[4]
Ein Teilhabeplan ist nach § 19 Abs. 1 1. HS 2. Alt. SGB IX zudem immer dann aufzustellen, wenn Leistungen mehrerer Rehabilitationsträger erforderlich sind. Durch diese Regelung wird ein Teilhabeplan immer dann erforderlich, wenn der leistende Rehabilitationsträger über § 15 Abs. 1 oder Abs. 2 SGB IX weitere Rehabilitationsträger in das Verfahren einbezieht.[5]
Letztlich ergibt sich aus § 19 Abs. 2 S. 3 SGB IX, dass ein Teilhabeplan auch dann aufzustellen ist, wenn der Leistungsberechtigte dies wünscht. In diesem Fall spielt es keine Rolle, ob zusätzlich Leistungen unterschiedlicher Leistungsgruppen oder mehrerer Rehabilitationsträger erforderlich sind. Allein der entsprechende Wunsch des Leistungsberechtigten verpflichtet den leistenden Rehabilitationsträger zur Aufstellung des Teilhabeplans.
Da nach § 43 SGB IX die Ziele der medizinischen Rehabilitation (§ 42 SGB IX), die Grundsätze der frühzeitigen Bedarfserkennung (§ 12 Abs. 1, 3 SGB IX) und der Teilhabeplanung (§ 19 SGB IX) bereits bei der (Akut-)Krankenbehandlung zu beachten sind, besteht die Möglichkeit, einen Teilhabeplan aufzustellen, auch in solchen Fällen der medizinischen Akutbehandlung, in denen die Notwendigkeit einer Rehabilitation frühzeitig feststeht. In solchen Fällen kann der Leistungsberechtigte – ggf. nach medizinischer Beratung – gleichzeitig mit der Beantragung von Rehabilitations- oder Teilhabeleistungen bereits die Durchführung eines Teilhabeplanverfahrens beantragen oder – im Falle der Vertretung – beantragen lassen. Unabhängig von diesem Wunsch dürfte die Beantragung von erforderlichen Rehabilitations- oder Teilhabeleistungen bereits im Stadium der Akutbehandlung gem. § 43 i. V. m. § 19 Abs. 1 1. HS 2. Alt. SGB IX zur Verpflichtung des leistenden Rehabilitationsträgers führen, einen Teilhabeplan aufzustellen, da in dieser Situation die Leistungen der Akutbehandlung und die sich hieran anschließenden Rehabilitationsleistungen zu koordinieren sind.
3. Inhalt des Teilhabeplans i. S. § 19 SGB IX
Der notwendige Inhalt des Teilhabeplans ergibt sich aus § 19 Abs. 2 SGB IX. Er hat danach zu dokumentieren:
- den Tag des Antragseingangs beim leistenden Rehabilitationsträger und das Ergebnis der Zuständigkeitsklärung und Beteiligung nach den §§ 14 und 15,
- die Feststellungen über den individuellen Rehabilitationsbedarf auf Grundlage der Bedarfsermittlung nach § 13,[6]
- die zur individuellen Bedarfsermittlung nach § 13 eingesetzten Instrumente,
- die gutachterliche Stellungnahme der Bundesagentur für Arbeit nach § 54,
- die Einbeziehung von Diensten und Einrichtungen bei der Leistungserbringung,
- erreichbare und überprüfbare Teilhabeziele und deren Fortschreibung,
- die Berücksichtigung des Wunsch- und Wahlrechts nach § 8, insbesondere im Hinblick auf die Ausführung von Leistungen durch ein Persönliches Budget,
- die Dokumentation der einvernehmlichen, umfassenden und trägerübergreifenden Feststellung des Rehabilitationsbedarfs in den Fällen nach § 15 Absatz 3 Satz 1,
- die Ergebnisse der Teilhabeplankonferenz nach § 20,
- die Erkenntnisse aus den Mitteilungen der nach § 22 einbezogenen anderen öffentlichen Stellen[7] und
- die besonderen Belange pflegender Angehöriger bei der Erbringung von Leistungen der medizinischen Rehabilitation.“
4. Ergänzende Anforderungen an den Teilhabeplan nach § 21 SGB IX
Ist der zur Aufstellung des Teilhabeplans verpflichtete leistende Rehabilitationsträger der Träger der Eingliederungshilfe, so hat er in jedem Fall innerhalb des Teilhabeplanverfahrens auch das Gesamtplanverfahren nach §§ 141 ff. SGB XII durchzuführen und einen Gesamtplan nach § 144 SGB XII aufzustellen. Eine ähnliche Verpflichtung trifft den Träger der öffentlichen Jugendhilfe, der innerhalb des Teilhabeplanverfahrens auch das Hilfeplanverfahren nach § 36 SGB VIII durchzuführen hat.[8]
5. Rechtscharakter des Teilhabeplans nach § 19 SGB IX
Aus der Regelung des § 19 Abs. 4 SGB IX, nach der die Rehabilitationsträger den Teilhabeplan bei der Entscheidung über den Antrag zugrunde legen, ergibt sich, dass der Teilhabeplan nicht bereits die Entscheidung über den Antrag darstellt, sondern diese vielmehr vorbereitet. Er ist daher kein Verwaltungsakt und dementsprechend auch nicht gesondert durch Widerspruch oder Klage anfechtbar.[9]
Ergeht eine Entscheidung über den Leistungsantrag ohne Erstellung eines – notwendigen – Teilhabeplans, so ist diese Entscheidung nicht bereits aus diesem Grund i. S. § 40 SGB X nichtig, sondern lediglich anfechtbar. Es ist jedoch sehr zweifelhaft, ob im Falle eines notwendigen Teilhabeplans der konkrete Bedarf des Leistungsberechtigten richtig ermittelt sein kann.
III. Fazit
Das BTHG hat mit seinen Änderungen des ersten Teils des SGB IX teilweise recht massiv in das Gefüge des Rehabilitationsrechts eingegriffen. Die hier vorgestellten Änderungen zur Leistungskoordination sind hierfür nur ein – wenn auch für die Praxis recht wichtiges – Beispiel. Ob es durch sie gelingt, Teilhabeverfahren tatsächlich zielgerichtet, bedarfsgerecht und zügig durchzuführen, wird die Praxis zeigen. Das Potenzial dazu haben sie. Gleichwohl kann jedes Verfahren nur so gut sein, wie die Beteiligten, die es umsetzen. Allein die Tatsache, dass auch die seit 2001 bekannten Vorgaben des § 14 SGB IX a. F. in nicht unerheblichem Umfang Gegenstand gerichtlicher Verfahren waren, lässt Zweifel aufkommen. Ausgetretene Verwaltungspfade zu verlassen verlangt manchmal doch mehr als neue Vorschriften.
Beitrag von Prof. Dr. Torsten Schaumberg, Hochschule Nordhausen
Fußnoten
Koordination, Rehabilitationsträger, Zuständigkeitsklärung, Bedarfsfeststellung, Genehmigungsfiktion, Kostenerstattung, Teilhabeplan, Gesamtplan, Behinderung
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